Sexualität gehört zu einem erfüllten Leben dazu, unabhängig vom Alter. Lange Zeit wurde Sex jenseits der 60 in der Sexualwissenschaft nur am Rande behandelt, doch das ändert sich zunehmend. Studien, die sich mit den emotionalen und beziehungsbezogenen Aspekten der Sexualität im Alter befassen, tragen dazu bei, dieses wichtige Thema zu enttabuisieren. Es wird immer deutlicher: Berührungen und intime Beziehungen sind für alle, die sie wünschen, ein wesentlicher Bestandteil eines glücklichen Lebens.
„Berührungen können große, starke Gefühle auslösen und machen uns glücklich. Das ist es, was wirklich zählt. Ein liebevoller Umgang miteinander ist für Männer, Frauen – für uns alle – essenziell. Es sind die Gefühle, die bleiben.“
Das veraltete Vorurteil, dass ältere Menschen kein Interesse an Sexualität haben, ist längst widerlegt. Tatsächlich sind viele Senioren sogar sexuell aktiver als jüngere Menschen. Auch in der Pflege wird dieser Tatsache zunehmend Rechnung getragen, indem sexpositive Konzepte Einzug halten. Sexualität in den Sechzigern, Siebzigern und darüber hinaus ist einfach das: Sexualität in all ihrer Vielschichtigkeit.
Sexualität im Alter umfasst viele Dimensionen: Die Lust, das Verlangen, die Sehnsucht nach Nähe und Intimität, die Aufregung, die der andere Mensch auslöst. All diese Gefühle sind auch im fortgeschrittenen Alter lebendig. Natürlich spielt auch die körperliche Komponente eine Rolle – die Genitalien und ihre Erregungsfähigkeit bleiben das Fundament, auf dem die Evolution den Sex geschaffen hat, auch wenn die Fortpflanzung bei vielen längst nicht mehr im Vordergrund steht. Und nicht zu vergessen ist die Beziehungsdimension: die tiefe Verbindung, die Nähe und die Liebe zwischen zwei Menschen, die im Laufe der Jahre gewachsen ist.
Aber was ist, wenn der Körper nicht mehr so will wie früher? Anna, 88 Jahre alt, erzählt von ihrer letzten sexuellen Begegnung mit ihrem Partner: „Es ist schon Jahre her, dass wir das letzte Mal Sex hatten. Ich war wohl um die 70. Es war irgendein Familienfest, und nach ein paar Gläsern Rotwein hatten wir innigen Sex, obwohl ich damals schon Knieprobleme hatte. Ich lag auf dem Rücken, was wegen der Knie leichter war. Hinterher scherzte ich: ‚Jetzt hast du mit einer zahnlosen alten Frau geschlafen!‘, und er antwortete: ‚Und du mit einem blasenkranken alten Mann.‘“ Anna erinnert sich mit einem Lächeln, wie sie beide trotz der körperlichen Herausforderungen Intimität genossen haben.
Für Lust und Liebe gibt es keine Altersgrenze, aber das offen zuzugeben, fällt vielen Menschen jenseits der 70 oft schwer. Besonders ältere Generationen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren aufgewachsen sind, haben gelernt, dass Sex etwas Sündiges und Schmutziges ist. Diese Einstellung hat sich mit der sexuellen Revolution und der Einführung der Pille zwar geändert, doch die alten Vorstellungen wirken bei manchen Menschen nach.
Natürlich haben nicht alle älteren Paare über Jahrzehnte hinweg Freude am Sex. Manche ziehen irgendwann in getrennte Schlafzimmer, andere jedoch betonen die Bedeutung von körperlicher Nähe. Claudia Sommer hat in ihren Interviews erfahren, dass viele ältere Menschen weiterhin Sex haben, auch wenn sie sich manchmal ein wenig „animieren“ müssen. Sie sagen sich: „Es wäre wieder ganz schön, ich muss es jetzt in Gang bringen, damit ich nicht zu faul werde – und dann ist es auch schön.“
Interessanterweise zeigt die Forschung, dass manche ältere Menschen sexuell aktiver sind als jüngere. Eine Studie, die im Rahmen der „Berliner Altersstudie II“ durchgeführt wurde, ergab, dass 30 Prozent der älteren Erwachsenen häufiger sexuell aktiv sind als der Durchschnitt der Jüngeren. 27 Prozent der älteren Teilnehmer berichteten zudem von mehr sexuellen Gedanken als die jüngere Vergleichsgruppe.
Obwohl junge Menschen im Durchschnitt sexuell aktiver sind, bleibt ein Drittel der älteren Erwachsenen auch im höheren Alter regelmäßig intim. Besonders interessant ist, dass ältere Männer tendenziell häufiger sexuell aktiv sind als ältere Frauen, vor allem wenn sie allein leben. Die Studie zeigte auch, dass eine feste Partnerschaft für die weibliche Sexualität im Alter eine größere Rolle spielt als für die männliche.
Mit zunehmendem Alter verändert sich der Körper, was sich auch auf die Sexualität auswirkt. Männer erleben oft eine abnehmende Erektionsfähigkeit, während Frauen in der Menopause hormonelle Veränderungen durchlaufen, die zu trockeneren und weniger elastischen Schleimhäuten führen können. Diese Veränderungen können Sex manchmal schmerzhaft machen. Auch Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Depressionen oder Diabetes, die im Alter häufiger auftreten, sowie die Medikamente, die dagegen eingenommen werden, können die sexuelle Lust beeinflussen.
Doch trotz dieser Herausforderungen bleibt die Lust ein zentraler Bestandteil des Lebens, unabhängig vom Alter. Indem wir offen über diese Themen sprechen und uns von gesellschaftlichen Tabus befreien, können wir Sexualität im Alter als das genießen, was sie ist: Eine erfüllende und wertvolle Erfahrung, die uns ein Leben lang begleiten kann.
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